Eibenstock ist wieder da - Presseartikel der Sächsischen Zeitung

05. August 2021

Eibenstock ist wieder da

Der beliebte Ferienort im Erzgebirge hat acht Monate Stillstand hinter sich. Für den Sommer sind die Touristiker optimistisch, auch weil Deutschland-Urlaub boomt. Doch sie fordern jetzt eine Vorbereitung auf den Winter.


Quelle: Sächsische Zeitung -  von Nora Miethke und Jürgen Lösel (Fotos)

Die Spitze des Rathausturms von Eibenstock sticht durch das Wolkenband. Der Ausblick vom Adlerfelsen auf die Erzgebirgsstadt und die Talsperre Eibenstock ist der ganze Stolz von Stefan Uhlmann. „Bei schönem Wetter könnten wir Leipzig sehen. Einfach gigantisch“, sagt der Geschäftsführer von Wurzelrudis Erlebniswelt / Skiarena Eibenstock Touristenzentrum Adlerfelsen GmbH. Er ist immer wieder fasziniert, wenn er von der Bergstation des Sessellifts ins Tal blickt. „Unser Glück ist, wir haben einen Berg, wo wir uns austoben können und dies das ganze Jahr über. Das hat nicht jeder“, so Uhlmann.

Nach acht Monaten Zwangspause konnten Hotels, Badegärten und Wurzelrudis Erlebniswelt in Eibenstock endlich wieder ihre Tore öffnen. Etwas Positives habedie Pandemie bewirkt: „Die Touristiker im Ort sind zusammengerückt“, so Uhlmann. Sie haben eine Arbeitsgemeinschaft gegründet, um Ruf und Wertigkeit der Urlaubsangebotegemeinsam zu verbessern. Eine der ersten Absprachen war, das alle gemeinsam am gleichen Tag, dem 24. Juni, wieder starten. In normalen Zeiten zählt das 5.000-Einwohnerstädten rund 145.000 Gäste-Übernachtungen. 200 Arbeitsplätze hängen direkt und indirekt vom Beherbergen von Urlaubern ab. Der Tourismus ist für die wirtschaftliche Zukunft von Bedeutung. Eibenstock liegt in der Trinkwasserschutzzone für halb Sachsen. Industrieansiedlungen sind deshalb schwer möglich, weil sie nicht genehmigt werden. Also hat die Gemeinde in den vergangenen drei Jahrzehnten erfolgreich Freizeitangebote entwickelt. Bis Corona kam. Der letzte Winter – in Eibenstock Hochsaison – war der Beste seit Langem vom Wetter her. Und alles stand still. Der Restart für die Sommersaison kam spät. „Jetzt versuchen wir, die Saison bis zum 4. November sehr intensiv zu nutzen“, sagt Uhlmann. Jammernbringe nichts, weder den Mitarbeitenden noch den Gästen. Der Chef von 17 Festangestellten und 30 Saisonkräften hat sich bemüht, seinen Mitarbeitern die Existenzängste zu nehmen. „Wir haben ihnen immer wieder gesagt. Egal, wie lang der Lockdown dauert, ihr seid abgesichert, euch
passiert nichts.“


Auslastung höher als vor Corona


Auch im Hotel Am Bühl öffneten sich wieder die Türen. Auf dem Parkplatz stehen viele Autos mit DD und PIR im Kennzeichen. Vor allem an den Wochenenden ist das „Blaue Wunder“ ausgebucht. „Die Auslastung ist jetzt sogar höher als vor Corona, weil mehr Familien in der Heimat bleiben wollen“, sagt der neue Geschäftsführer Ralf Schibelius. Er glaubt, dass der Deutschland- Urlaub noch an Bedeutung gewinnen wird, wegen der Unsicherheit, im Ausland plötzlich von Quarantäneregeln überrascht zu werden. Mitten im Lockdown übernahm Schibelius Anfang Januar die Leitung des beliebten Familienhotels. „Gerade in den Abendstunden war es schon erschreckend, durch ein fast leeres Hotel dieser Größenordnung zu gehen, wissend dass hier im Winter eigentlich Hochbetrieb herrschen müsste“, sagt der 44-Jährige und beziffert die Umsatzeinbußen auf drei Millionen Euro. Sie wurden zum Teil durch die November- und Dezemberhilfe ausgeglichen. Gott sei Dank habe seine Vorgängerin, die das Hotel 23 Jahre führte, ihm „ein finanziell solide aufgestelltes Haus hinterlassen“, betont der Hotelchef, der zuvor in München arbeitete und sich infolge der Pandemie beruflich neu orientierte. Das haben auch ein Teil seiner neuen Kollegen getan. Nicht alle kamen aus der Kurzarbeit zurück. Zwölf Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen gingen in Ruhestand oder wechselten die Branche. Ein Azubi kündigte.
Über einen Gang können die Hotelgäste gleich im Bademantel in die benachbarten „Badegärten Eibenstock“ gelangen. Auch dort ist man mit dem Restart sehr zufrieden. Vor dem Ausbruch von Corona setzten sich die Sachsen vor allem im Winter in die Sauna. Doch das hat sich geändert. „Letzten
Samstag hatten wir 200 Sauna-Besucher, ein Rekord“, freut sich Betriebsleiter Roberto Fricker . Es ist früh um 9 Uhr. Die Saunalandschaft öffnet erst in einer Stunde, doch ein Bademeister steht schon vor einer Holzhütte im russischen Banja-Stil und lässt ein Handtuch schwungvoll durch die Lüfte fliegen. Er trainiert Showtechniken für Aufgüsse. „Schade, wenn solche Mitarbeiter aufhören, weil die Perspektive fehlt“, sagt Fricker nachdenklich, während er ihn durch die Fenster der neuen Gastroscheune heimlich beobachtet. Auch seine Belegschaft ist um zehn Prozent auf 75 Beschäftigte zurückgegangen. Besonders weh tut der Verlust von zwei Therapeuten. Dennoch bleibt Fricker bei Neueinstellungen vorsichtig, diese soll es erst wieder ab September
geben.
Die neue Gastroscheune steht im Rohbau da. Die Fertigstellung musste erst einmal verschoben werden. Denn wirtschaftlich war der Stillstand verheerend. Dieses Jahr werden die Badegärten mit einem Minus von 300.000 bis 500.000 Euro abschließen. Da die Schwimmbecken gefliest sind und die Fugen nicht austrocknen dürfen, musste das Erlebnisbad über die gesamte Schließzeit hinweg betriebsbereit gehalten werden. Jeden Monat liefen 250.000 Euro an Fixkosten auf, inklusive Abschreibungen. Zwar bekam das Unternehmen einmalig rund 750.000 Euro für die Novemberund Dezemberhilfe und rund 80.000 Euro in Form von Kurzarbeitergeld. Einen Anspruch auf Überbrückungshilfe III gibt esaber nicht, weil die Kommune Mehrheitseigner der Badegärten ist. Bürgermeister Uwe Staab hat dafür kein Verständnis „Es ist der gleiche Markt und die gleichen Kosten wie für private Bäder auch.“ Doch alle Interventionen blieben erfolglos.
Und so muss die Million Euro an Eigenmitteln, die eigentlich für die Erweiterungsinvestitionen angespart wurden, zur Deckung der laufenden Kosten genutzt werden. Nächstes Jahr sollen die Bauarbeiten für eine neue Badehalle für Familien mit Rutschen und Splash-Park starten. Es ist geplant, den Campingplatz zu verdoppeln, um dem Caravan-Boom Rechnung zu tragen und auf das Gelände des alten Heizhauses kommt ein Parkhaus mit 250 Stellplätzen. Insgesamt werden 15 Millionen Euro investiert, zum großen Teil gefördert.

Lockdown genutzt zum Renovieren


Aber auch schon im Lockdown wurde die Zeit für Reparaturen und Umbauten genutzt. In den Badegärten entstanden rund um den künstlichen  Seerosenteich mehrere rustikale Ferienhäuser mit Holz aus Russland. Im Hotel Am Bühl wurden neue Teppichböden verlegt und die Zimmer renoviert. Um den Gästen ein Gefühl der Sicherheit zu geben, wurde in Trockendampfgeräte investiert, die bis zu 90 Prozent an Bakterien herausfiltern sollen. Die Gästemappen auf den Zimmern wurden eingesammelt und die Inhalte digitalisiert. Obwohl die Maskenpflicht gefallen ist, hat sich das Team verständigt, weiterhin den Mund-Nasen-Schutz im Hotel zu tragen. Testpflicht,Maskenpflicht – alleswurde fallen gelassen, auch die Modellprojekte im Tourismus. Das hält Schibelius für einen Fehler. „Ich wünschte mir, es würden vielmehr Schutzmaßnahmen getestet werden etwa für größere Veranstaltungen“, sagt er. Ihn erschrecke die Gefahr, unvorbereitet in die Wintersaison zu gehen. Auch Stefan Uhlmann treibt das um. „Der Sommer wird funktionieren. Aber auf den Winter müssen wir uns vorbereiten. Und dafür ist jetzt die Zeit, auch für die Politik“, sagt der Chef von Wurzelrudis Erlebniswelt und fordert schlüssige Konzepte, damit ein Winterbetrieb mit Übernachtungen möglich sein kann. Er hat auf dem Adlerfelsen ein neues Kassensystem eingeführt. Jede Attraktion wird nicht mehr einzeln bezahlt, sondern die Gäste können sich im Vorfeld mit Talerkarten eindecken, damit es nicht zu langen Warteschlangen kommt. Die Skiliftbetreiber im Erzgebirge haben sich zusammengerauft und intensive Gespräche mit Tourismusministerin Barbara Klepsch geführt. Nun muss zum Beispiel geklärt werden, ob ein Ticketsystem
wie im Sauerland zur Lenkung der Besucherströme eingeführt werden kann. „Im Sauerland wurden täglich 2.000 Tagestickets digital verkauft und an der Kasse standen nur 20 Menschen an. Das ist nichts“, begeistert sich Uhlmann.

Bürgermeister Staab und Badegärten-Leiter Fricker wünschen sich, „dass die Politik aufhört, den normalen Tourismus als Treiber für die Pandemie verantwortlich zu machen“. Ein Bad sei ein sicherer Ort dank der großen Belüftungsanlagen und der Wärme in den Saunen, die jedes Virus abtöten
würden. „Wir müssen einen erneuten Lockdown vermeiden. Noch so ein langer Stillstand wäre der touristische Tod unserer Region“, fürchtet Staab.

31. Juli / 01. August 2021 Sächsische Zeitung

Quelle:

www.saechsische.de/sachsen/eibenstock-ist-wieder-da-nach-corona-winter-sommer-tourismus-urlauber-5496327-plus.html